A.D. 1169
Chronik der Ereignisse um die Fraternitas, im
Tribunal Gallia Transalpina, den Feenwaeldern und in der sonstigen Welt.
Gesammelt und aufgeschrieben ab dem Jahre des Herrn 1155.
Nun, da das Jahr des Herrn 1169 sich dem Ende neigt und eine Art
gespannter Ruhe eingekehrt ist, sollten wir den Herren loben, ihn preisen
und danken, daß seine schützende Hand unsere Gemeinschaft, welche
durch unseren Umzug sich in Gefahr begeben hatte, uns sicher durch den
Sturm dieser Zeiten geführt hat. Damit diese Ereignisse nicht in Vergessenheit
geraten, denn das Wissen um die Geschehnisse möge der Zukunft als
Lehre und auch Warnung dienen, habe ich, Lucellus ,wieder die Feder ergriffen
und werde nun, Gott wohlgefällig, berichten, was es auf sich hat mit
der Fehde zwischen unserem Freund dem Baron und Wilhelm von Hagen, jenem
Menschen, in dem Lucifer sein williges Werkzeug fand.
So will ich nun beginnen und frohen Mutes meiner Pflicht genügen.
Der Schnee des Winters war noch nicht geschmolzen, als sich Bruder
Tuk und Phillipe mit einigen unserer Männer aufmachten in die Bretagne,
um dort die nötigen Vorbereitungen für unseren Umzug zurück
in jenes schöne Land zu treffen. Kaum in Dinan eingetroffen, hörten
sie das Volk klagen über die harte Hand Wilhelms von Hagen aus Brabant,
der im Auftrage des Herzog Eudes von Nantes das Land regierte. Voller christlichem
Eifer verfolgte er alles, was ihm heidnischer oder gar heretischer Natur
erschien. So beraubte er das Volk seiner alten Bräuche und fügte
ihm so großen Schaden zu, denn ein Volk ohne Sitte und Tradition
weiß nichts anderes, um sich zu freuen und zu stärken für
neue Aufgaben. Das Volk stand fest zu seinen Bräuchen, und so bedurfte
es immer wieder der brutalen und willkürlichen Gewalt seitens Hagens
Rittern, um seinem Ziel auch nur ein wenig näher zu kommen. Bruder
Tuk, Phillipe und einige Männer wissen nur zu gut davon zu berichten,
da sie selbst nur mit knapper Not solch grausamen Taten entgangen sind
oder gar selbst in den Kerker geworfen wurden.
Als die Verhältnisse es zuließen, machten sich auch Sire
Lazarde, Dolph und Guillieme auf den Weg nach Norden. Sie trieben die Pferde
unserer Zucht wieder nach Erquy, jenem Platz, der von unserer Hand wieder
aufgebaut ward, und von da an uns als Landgut gedient hatte. Auf ihrer
Reise kehrten sie auch im Bistum unseres Freundes Kardinal Stephano ein
und erfuhren dort von den beiden Canonici Dietrich von Braden und Ramon
D'Uvere einiges über die politische Lage in der Bretagne. Außerdem
trafen sie später einen außerordentlich interessanten Mann namens
Erasmus von Rotterdam, welcher dem Volk wie der Kirche die Armut predigte.
Mit großen Gaben reich ausgestattet war sein Wort gleich einer Waffe,
und wahrlich, ich denke er wird sie noch oft führen und die Mutter
Kirche bestürmen. Wir sollten die Zeit mit Bangen erwarten, wenn Mutter
Kirche der so geschlagenen Wunden überdrüssig wird und ihren
Zorn über Erasmus und seine Anhänger kommen läßt.
Nun muß ich einen Vorfall berichten, dessen Bedeutung mir verborgen
bleibt, doch die Zeit vielleicht eine Antwort darauf bringen wird. Schlimme
Ereignisse haben meist, wie wir alle doch wissen, ihre Vorboten. Daß
dies aber nur ein Bote der späteren Ereignisse sein sollte, kann und
will ich nicht glauben, so abscheulich und wider die Natur war dies. In
Dinan fand man zu Beginn des Frühlings die von Tieren entstellte Leiche
eines jungen Mädchens, welches, so konnten wir erfahren, den Tod ihres
Großvaters wohl nicht verkraftet hatte und daher fortgelaufen war.
Doch der Wald sollte nie dem Unkundigen als Aufenthalt dienen. Verwunderlich
war nun, daß Erasmus von Rotterdam, der die Beerdigung verrichtete,
den Boden nicht weihte und auch die letzten Sakramente nicht gespendet
hatte. Zwar gab er Bruder Tuk eine theologische Erläuterung über
die Gründe, die ihn bewegt haben mochten, doch bin ich selbst zu wenig
kundig, um die Wahrheit darüber zu erkunden. Seltsam ist indes, daß
gerade jenen beiden Toten die letzte Ruhe versagt blieb, denn sowohl Grossvater
als auch Enkelin erhoben sich des Nachts aus ihren Gräbern und mußten
mit Waffengewalt unter größter Gefahr von Sire Lazarde und unseren
Getreuen bekämpft werden. Phillipe wurde dabei auf das schwerste verletzt,
so daß wir ernsthaft um sein Leben fürchten mußten. Doch
Gott der Herr stand den Gerechten wider die Geschöpfe der Finsternis
bei.
Wohl schon weit im Frühling des Jahres erhielten wir Kunde von
einem Weisen, der im Dorfe LaBoullie die Geschichten der Alten erforschte.
Auf's höchste alarmiert durch die rigorose Politik Wilhelms eilten
Meister Argus und Meister Alexander dorthin, damit größere Übel
vermieden würden, doch das Schicksal hatte wohl schon anders entschieden.
Wie sich herausstellte war es ein gewisser Meister Sarimacus vom Hause
Merinitiae aus dem Rheintribunal, welcher dort in der Nähe eines alten
Feenwaldes versuchte, mit dessen Bewohnern Kontakt aufzunehmen und einen
Weg nach Arcardia zu finden. Von uns gewarnt ob der Gefahr von Seiten Wilhelms
versprach er, vorsichtig zu sein und uns über die Fortschritte seiner
Arbeit zu unterrichten.
So war es dann wenige Tage vor der Sommersonnenwende, als er Meister
Argus, Meister Alexander, Sire Lazarde, Dolph und Guillieme einlud, in
der Mittsommernacht seiner Initiierung als Priester des Horn in dessen
Heiligtum unweit von LaBoullie beizuwohnen. Doch war Verrat im Spiel und
Wilhelm mit seinen Männern griff jenen Ort während der Feierlichkeiten
an, tötete Meister Sarimacus und den Priester des Horn, verwundete
Sire Lazarde schwer, welcher es ihm nicht nur gleichtat, sondern seiner
Zeit auf dieser Erde beinahe ein Ende bereitet hätte, und ließ
LaBoullie zerstören. Ohne die Hilfe der alten Kräfte des Waldes
wäre alles verloren gewesen, denn selbst Meister Argus und Meister
Alexander vermochten mit ihren Kräften jenem übermächtigen
Feind nicht Herr zu werden. Da LaBoullie in der Nähe des Chateau des
Barons gelegen ist, brachte man den verwundeten Sire Lazarde dorthin. Der
Baron war über die Tatsache, daß eines seiner Doerfer von seinem
Lehnsherrn einfach niedergemacht worden war, nicht gerade sehr erfreut.
Als tags darauf Sire Lazarde durch Wilhelm von Hagen für vogelfrei
erklärt wurde, schlug der Baron alle Mahnungen seines Vertrauten Frederic
in den Wind und fand seinen alten Stolz wieder. Er warf Wilhelm den Fehdehandschuh
hin und kündigte ihm die Treue auf. Da dies direkte Konsequenzen für
unsere Zucht in Erquy haben konnte, entschloß man sich, unsere edleren
Pferde in Sicherheit zu bringen und mit den übrigen den Baron zu unterstützen.
Um dem Baron weiter den Rücken zu stärken, versuchten Meister
Zen, Meister Barnados und Meister Argus Francois, den Sohn des Barons,
welcher auf Chateau Beaumonte von Hagen als Geisel gehalten wurde, zu befreien.
Dieser Versuch schlug fehl, da auch die Gegenseite offenbar über Magie
verfügte. Darufhin übersandte Hagen dem Baron zwei Finger seines
Sohnes, doch unser tapferer Freund ließ sich nicht schrecken. Meister
Argus hat seitdem jene beiden Finger konserviert, damit er sie an ihren
angestammten Platz fügen kann, sobald er den entsprechenden Spruch
entwickelt hat. Die größte Bedrohung erbaute Hagen in Form eines
Feldlagers östlich von Matignon, welches ihm ermöglichte, jederzeit
in die Ländereien des Barons einzufallen. Ohne Unterstützung
wäre der Baron verloren gewesen, und so nahmen es die Unseren auf
sich, nachdem Hagen selbst vor der Beraubung von Händlern aus Genua,
die gerade das Land passierten, nicht mehr zurückschreckte, sich für
den Baron zu verwenden und ihm Verbündete zu suchen. Der Graf von
Lamballe war bereit, den Baron durch Vorräte und Kriegsmaterial zu
unterstützen, doch konnte und wollte er dies nicht offen tun, da er
selbst mit uns unbekannten Hintermännern die Krönung eines neuen
Königs der Bretagne und aller Briten betrieb. Der Baron bot das beste
Ablenkungsmanöver, das man sich nur denken konnte, und deswegen beschwor
er uns, jene Fehde noch weitere drei Wochen durchzuhalten, denn dann seien
alle Vorbereitungen abgeschlossen und die alten Kräfte würden
auf's Neue regieren können. Damit dem Baron die nötige Luft verschafft
werden konnte, blieb kein anderes Mittel, Meister Argus mußte mit
seiner Magie offen eingreifen. So bleibt nur zu hoffen, daß jener
Verstoß gegen die Gesetze des Ordens unbemerkt und ohne Folgen bleibt.
In einem gewagten Unternehmen gelang es Sire Lazarde, Dolph, Guillieme
und einigen Männern des Barons durch gezielte Hilfe seitens Meister
Argus das Feldlager zu zerstören und 15 Ritter und 30 Mann Fußvolk
gefangenzunehmen. Dies war das Ende der Fehde, aber erst der Beginn eines
neuen Krieges, denn Heinrich II. von England landete wenig später
in der Bretagne und wurde in einer feierlichen Zeremonie auf dem Chateau
des Grafen von Lamballe durch die Übergabe des Schwertes Excalibur
zum König aller Briten, Angeln und Sachsen ausgerufen. Man sagt, Heinrichs
Ratgeber, Romuald von Canterbury, habe das Schwert wiedergefunden, doch
nach allem, was wir wissen, erscheint dies sehr fragwürdig. Ein Schwert
kann geschmiedet werden, wenn man eines bedarf, und das Volk mag daher
glauben, was es will. Der Krieg verlief bis jetzt wohl günstig für
den Engländer. Wilhelm von Hagen wurde besiegt und Francois, der Sohn
des Barons kam wieder frei. Auch unserer Sache hat dies alles bisher nicht
geschadet, sondern sie eher gefördert, sind wir doch nun bei einigen
der Herren zu Ansehen gelangt. Und wir sollten allen tun, um diese nützlichen
Verbindungen zu erhalten. Wer weiß, was die Zukunft in sich birgt
und wann wir Hilfe benötigen werden. In Gottes Hand liegt unser weiteres
Geschick.